Als Pink Flamingos 1972 in die Kinos kam, warb das offizielle Plakat damit, der Film sei eine „Lektion in schlechtem Geschmack“. Das war nicht übertrieben, wie im Trailer deutlich wurde: Dieser zeigte lediglich die Reaktionen von Zuschauern, die entweder hochamüsiert oder zutiefst entsetzt waren. Dass Regisseur John Waters, das „schwarze Schaf“ der US-amerikanischen Filmszene, einst als weitsichtiger Künstler geschätzt werden würde, hielten damals wohl viele Beobachter für höchst unwahrscheinlich. Doch nicht zuletzt das Broadway-Musical Hairspray, das auf den gleichnamigen Film von Waters zurückgeht und 2003 mit einem Tony-Award ausgezeichnet wurde, zeugen von der visionären Kraft des Filmemachers, der die gezielte Grenzüberschreitung zum Stilmittel erhob und damit im Idealfall den Horizont der Zuschauer unterhaltsam erweiterte. So brachte Waters mit der Drag Queen Divine eine Ikone der Travestie auf die Kinoleinwand und verhalf vermeintlichen Außenseitern zu notwendiger Aufmerksamkeit und wachsender Anerkennung in der Gesellschaft.
Vom Kino ins Museum
In Baltimore wird John Waters nun eine große Retrospektive gewidmet, die erste in seiner Heimatstadt. Die Ausstellung John Waters: Indecent Exposure versammelt dabei vom 7. Oktober 2018 bis 6. Januar 2019 im Baltimore Museum of Art (BMA) mehr als 160 Fotografien, Skulpturen, Sound- und Videokunstwerke, die deutlich machen, wie Waters mit seinen Werken die Erwartungen des Mainstreams humorvoll unterläuft und etwa die mediale Darstellung von Stars hinterfragt.
„John Waters wird für seine Karriere als Filmemacher bewundert, seine übrigen Arbeiten sind jedoch kaum bekannt“, sagt Kristen Hileman, Senior Curator of Contemporary Art des BMA. „Es war unglaublich bereichernd, eine Ausstellung zu gestalten, die nicht nur seinen künstlerischen Einfluss beleuchtet, sondern auch seine Rolle als Figur und Kritiker der Gegenwartskultur. Sein Schaffen hat viel dazu beigetragen, dass sich die amerikanische Identität weiterentwickelt hat und umfassender wurde. Seine Perspektive darauf, wie wir als Individuen etwas zu einer vielfältigen Gemeinschaft beitragen können, ist enorm wichtig.“
Dass John Waters auch mit mehr als 70 Jahren die Lust an der Provokation nicht verloren hat, machen in der Ausstellung gezeigte Werke wie Kiddie Flamingos deutlich: Die 2014 entstandene Videoinstallation zeigt Kinder, die eine bearbeitete Version des Drehbuchs von 1972 mit verteilten Rollen lesen. Obgleich einige Passagen hierfür entschärft wurden, hofft der Künstler darauf, dass das Werk möglicherweise schockierender wirkt als der ursprüngliche Film. Wie wiederum Popstar Justin Bieber nach zu vielen Schönheitsoperationen aussehen könnte, macht eine von Waters‘ Fotomontagen nachvollziehbar. Dabei schont er sich in seinem Schaffen keineswegs selbst, wie das Werk Beverly Hills John von 2012 zeigt, in dem Waters sich selbst als übereifrigen Anhänger plastischer Chirurgie darstellt.
Begleitet wird die Ausstellung von einem Katalog, der vom Baltimore Museum of Art und The University of California Press gemeinsam herausgegeben wird. Er enthält neben Essays der Kuratorin Kristen Hileman, des Kunsthistorikers und Aktivisten Jonathan David Katz und des Kritikers, Kurators und Künstlers Robert Storr auch ein Interview mit John Waters, das der deutsche Fotograf Wolfang Tillmans führte.
Das Baltimore Museum of Art wurde 1914 gegründet und beherbergt heute eine international renommierte Kollektion von moderner und zeitgenössischer Kunst des 19. Jahrhunderts. Die Sammlung umfasst rund 95.000 Kunstwerke, darunter mehr als 1.000 Arbeiten von Matisse. Der generelle Eintritt in das Museum ist frei, die Sonderausstellung John Waters: Indecent Exposure kostet 15 US-Dollar für Erwachsene, für Senioren, Studenten und Gruppen gelten Vergünstigungen. Für Kinder bis sechs Jahre ist der Eintritt frei.