Einen Gang zurückschalten, nicht nur Sehenswürdigkeiten abhaken, sondern sich Zeit nehmen für die Menschen, Dörfer und Landschaften jenseits der Straßen. Übernachten in kleinen Gasthäusern und ländlichen Hotels, ein Stopp für ein regionaltypisches Mittagessen, ein langsamer Bummel durch ein Dörfchen, dessen Namen man nie gehört hat. Und einfach anhalten, in die Landschaft eintauchen und ein Stückchen wandern. Das bedeutet „Slow Driving“, ein neues touristisches Produkt der Region Aragonien für Menschen, die das bewusste Reisen abseits der großen Schnellstraßen und bekannten Touristenrouten reizt.
Am Fuss der Pyrenäen
Der Ausblick ist wahrlich überwältigend. Unter uns öffnet sich die gewaltige Schlucht des Río Vero. Steile Felswände zu beiden Seiten eines riesigen Grabens und unten das sprudelnde Wasser des Flusses, das im Lauf der Jahrmillionen diese imposante Landschaft geschaffen hat.
Der Blick schweift entlang der Felswände und bleibt hängen an den riesigen Höhlen und Öffnungen, die die Felswände durchlöchern wie einen Schweizer Käse. Hier haben Wissenschaftler zahlreiche Zeichnungen und Malereien aus prähistorischen Zeiten gefunden, die sich auf geführten Routen entdecken lassen.
Zwei der vielen gigantischen Schluchten, die die Landschaften der Sierra de Guara am Fuße der Pyrenäen auf so spektakuläre Weise durchschneiden, treffen hier aufeinander, die des Río Vero und der genauso tief eingeschnittene Barranco de la Choca. Und ganz unten, fast genau dort, wo die beiden aufeinandertreffen, duckt sich am Ufer des Flusses ein winziges Kirchlein, die Ermita von San Martín unter die Felsen. Eine abwechslungsreiche Wanderung führt zwischen den Felswänden hindurch und hinunter entlang dem Fluss bis zu der kleinen Kapelle. Für Wanderer, insbesondere aber für Kletter- und Canyoning-Fans sind diese Landschaften ein Paradies.
Fährt man von Alquézar, einem mittelalterlichen Städtchen am Río Vero, das sich pittoresk auf den Felsen erhebt, Richtung Norden, ergeben sich immer wieder faszinierende Ausblicke in die grandiosen Schluchten und Gräben.
Ansonsten prägen uralte Olivenbäume, Mandelbäume, Steineichen und zahlreiche Weinberge das mediterrane Landschaftsbild hier nur knapp eine Stunde von den Pyrenäengipfel entfernt, deren Silhouette immer wieder am Horizont auftaucht. Es geht über römische Brücken aus Stein, durch verschlafene kleine Dörfer mit winzigen romanischen Kirchen entlang schmaler Landstraßen, die sich nicht selten in Serpentinen durch diese scheinbar vergessene Gegend schlängeln.
Vergessene Dörfer am Rande des Weges
Vergessen war über viele Jahrzehnte auch manches der Dörfer am Rand der Guarguera, wie die alte Landstraße, die die Region von Ost nach West durchquert, genannt wird. Nachdem viele der einstmals von ihren Bewohnern verlassenen Dörfer im nördlichen Teil der Sierra de Guara jahrelang im Dornröschenschlaf lagen, kommen heute die Menschen zurück, beginnen die Häuser liebevoll zu restaurieren und hauchen ihnen, wenn auch oft nur für die Zeit der Sommermonate wieder Leben ein: Used, Nocito, Lúsera…. Immer wieder lohnt es sich, anzuhalten, durch eines der Dörfchen zu spazieren, auf den stillen Plazas zu sitzen oder eine kurze Wanderung durch die Pinienwälder entlang einem Stausee zu machen und ein Bad in einem der türkisfarbenen Naturschwimmbäder der Flüsse zu nehmen.
Solche unbekannten Regionen liegen für gewöhnlich abseits der großen Straßen. Und wer tiefer eindringen möchte in die Landschaften und Dörfer, und verborgene Winkel entdecken will, der muss sich die Zeit und Muße nehmen, auf die Nebenstraßen auszuweichen. Speziell für diese Art von Reisen hat die Region Aragonien im Nordosten Spaniens das „Slow Driving Aragón“-Programm entwickelt. Auf 16 verschiedenen Routen über kleine Land- und Nebenstraßen lassen sich die herrlichen Gegenden dieser Autonomie-Region entdecken. Da die Entfernungen innerhalb der Routenvorschläge nie allzu groß sind, bleibt immer genügend Zeit für Aktivitäten wie Wandern, Bootsfahrten, Klettern, Canyoning oder der Ausflug mit dem Fahrrad.
In die schönsten Regionen der Zentralpyrenäen
Und die Routen lassen sich einfach untereinander verbinden. So lohnt es sich, beispielsweise von der oben beschriebenen „Route der Geheimnisse der Vorpyrenäen“ durch die Sierra de Guara einfach ein Stück weiterzufahren, etwa noch etwas nördlicher, um die Täler, Wasserfälle, und Bergseen der Pyrenäen zu entdecken. Zum Beispiel auf der „Route von Ordesa“ den von der UNESCO zum Weltnaturerbe erklärten Nationalpark rund um den vielleicht charakteristischsten Gipfel des Monte Perdido zu erkunden.
Kultur-Highlights südlich von Zaragoza
Auch südlich der Hauptstadt Zaragoza warten eine Vielzahl unbekannter kultureller und landschaftlicher Höhepunkte, die sich im niedrigen Gang zu bereisen lohnen. In und um Teruel beispielsweise lernt man auf der „Route des Wassers und des Mudéjar“ die herrlichen Baudenkmäler des Mudéjar kennen, eines Kunststils, den arabische Baumeister seit dem 11. Jahrhundert während der Zeit nach der Rückeroberung unter den neuen christlichen Herrschern schufen.
Über die Pässe der Stille
Auf der Route zu den „Pässen der Stille“ geht es in eine der vielleicht faszinierendsten Landschaften des südlichen Aragoniens, den Maestrazgo. Hier wartet eine rauhe, ursprüngliche Gegend mit einsamen Hochebenen, von schroffen Felsen gerahmte Flusstäler, alte Brücken, lichte Pinien- und Kiefernwälder und weite Terrassenlandschaften mit Buschwerk und zahlreichen uralten Trockenmauern.
Mora de Rubielos ist der Ausgangspunkt dieser Strecke. Ein gut erhaltenes Dorf mit einem imposanten gotischen Burgpalast und mit Wappen geschmückten mittelalterlichen Adelshäusern. Alcalá de la Selva liegt inmitten der Gebirgskette von Gúdar am Oberlauf des Alcalá-Flusses. Zweifelsohne ist der Ort mit seiner Burg und dem gut restaurierten Festungsturm einer der schönsten Orte der Region und wie in nahezu allen fühlt man sich auch hier ins Mittelalter zurückversetzt.
Das alte Reich der Tempelritter
Diese Zeit prägte im Besonderen den Maestrazgo. Nicht nur El Cid, einer der großen Helden der spanischen Geschichte, beherrschte lange Zeit diese Region, wie man an vielen Ortsnamen wie La Iglesuela del Cid, Lucena del Cid oder Villafranca del Cid ablesen kann. Hier befindet sich das alte Reich der Tempelritter. Und noch heute gibt es ihre Kirchen, Burgen und Festungen. Dieser mächtige, religiöse Ritterorden, der zunächst Pilger ins Heilige Land begleitete, dann aber insbesondere mit den Königen von Aragón in den Kampf gegen die Mauren zog, erlangte hier etwa zu Ende des 13. Jahrhunderts den Höhepunkt seines Ruhms und seiner Macht, die aber bereits mit der Auflösung des Ordens im frühen 14. Jh. endete. Die Siege gegen die Mauren hatten Schenkungen von Ländereien und zahlreiche Sonderrechte gebracht und auch in der inneren Politik des Landes war ihre Macht gewachsen, was vielen der Mächtigen ein Dorn im Auge war. Schon bald nach ihrer Auflösung entstand ein neuer Orden, der dem Maestrazgo, dem „Land der (Ordens-)Meister“ (-maestre) seinen Stempel aufdrückte: der Orden der Montesa.
So wird der gesamte Terueler Maestrazgo geprägt von kleinen mittelalterlichen Dörfchen und Weilern, die in der Zeit der Ritterorden entstanden oder Bedeutung erlangten: Tronchón, Cantavieja, Castellote, Cuevas de Canart oder Villarluengo. Orte, von festen Stadtmauern mit Stadttoren umgeben, nicht selten von einer Templerburg gekrönt, mit ihren typischen aragonesischen alten Palasthäusern, den historischen Rathäusern mit ehemaligen Lonjas (Börsen) und den gemütlichen, arkadengesäumten Plazas. Villaroya de los Pinares ist ein solcher Ort, der historische Stadtkern ein hervorragendes Beispiel der mittelalterlichen Renaissancearchitektur dieser Region. Im ehemaligen Gefängnis befindet sich heute ein Informationszentrum zu einem weiteren Orden, der die Region prägte, dem Orden vom Hospital des Heiligen Johannes.
Unweit von Villarluengo sollte man das Auto stehen lassen und eine kurze Wanderung durch die zerklüftete Felsenlandschaft zur Quelle des Pitarque-Flusses machen, der hier direkt aus den verkarsteten Kalkfelsen aus der Erde sprudelt und sich in mehrstöckige Bassins ergießt.
Von hier ist es auch nicht mehr weit bis zu den „Organos de Montaro“, einer faszinierenden Felsenformation aus riesigen, mehr als 200 Meter hohen Kalkobelisken, die an die Pfeifen einer Orgel erinnern und aus diesem Grund auch den Namen „Organos“ – „Orgeln“ erhielten. Inmitten dieser unglaublichen Felsenkulisse befindet sich der winzige Weiler von Montoro de Mezquita.
Mit Cantavieja und Mirambel, den nächsten Orten auf der Route, durchfährt man zwei Döfer, die auf der Liste der „schönsten Dörfern Spaniens“ stehen. In Iglesuela del Cid erreicht man einen der Höhepunkte auf einer der großen Kulturrouten Spaniens, des „Camino del Cid“, der von Burgos bis nach Valencia dem Weg des einstigen Volkshelden folgt. La Iglesuela del Cid war im Mittelalter Zentrum des Wollhandels und noch heute künden zahlreiche Adelshäuser von dem einstigen Wohlstand. Aus den schmalen Gassen ragt der Turm Torre de los Nublos hervor. Der Turm gehört genau wie die ehemalige Casa de Consistorial – Treffpunkt der Ratsversammlungen und ehemaliger Templerpalast – zu den schönsten Gebäuden des kleinen Ortes.
Über die Hochebenen auf einer der Bedeutenden Kulturrouten Spaniens
Jetzt begleitet uns auch der Wegweiser des Camino del Cid über die Hochebene und es geht nach Mosqueruela auf nahezu 1.500 Meter Höhe.
Auch Linares de Mora liegt an einem Hang. Riesige Felsbrocken prägen die Landschaft, in deren Schutz sich immer mal wieder eine der ehemaligen Schäferhütten duckt. Zwischen den kleinen mittelalterlichen Dörfern geht es an einsam gelegene Höfen vorbei, die hier in der Terrassenlandschaft mit ihren Trockenmauern liegen. Die Landschaft ist karg, aber wunderschön, und kommt man im Herbst, pfeift nicht selten ein rauer Wind über diese Hochebenen.
Die Häuser von Linares de Mora scheinen sich ineinander zu stapeln bis zur Kirche und der ehemaligen Burg, die lange Zeit Sitz des Templerordens war. Über Nogueruelas, dessen alter Kern rund um die Kirche drapiert auf einem Hügel liegt, geht es schließlich wieder nach Rubielos de Mora, dem Start- und Endpunkt der Tour über die „Pässe der Stille“.
Informationen über die oben beschriebenen sowie sämtliche 16 Slow-Driving-Routen, größtenteils auch in deutscher Sprache unter www.slowdrivingaragon.com. (Turespaña)