Was machen die Bewohner einer Insel, auf der es kaum Bäume gibt, kurz vor Heiligabend, wenn der Ruf nach einem Weihnachtsbaum ungehört in der winterlichen Nordseebrandung verhallt? Sie basteln sich einen. So geschehen um das Jahr 1800: Ganz Europa strahlt in weihnachtlichem Glanz, doch den Syltern mangelt es an Bäumen. Die Lösung: Man nehme einen Besenstil und drei Querlatten, umranke sie mit Buchsbaum oder Efeu, schmücke sie mit Kerzen und Äpfeln und füge Figuren aus Salzteig hinzu. Fertig ist der Jöölboom. Dekorativ, leicht herzustellen. Und: Er nadelt nicht.
Ob sich die Erfindung des Jöölboom genau so zugetragen hat – Forscher sind sich da nicht einig. Viele führen die Entstehung des historischen Weihnachtsschmucks auf germanische – und da vor allem skandinavische – Einflüsse zurück. Der Name „Jööl“ würde sich in diesem Fall aus dem nordischen „hjul“ ableiten, was so viel wie „Rad“ bedeutet. Damit wäre dann das Zeitrad gemeint, das nach alten, nordischen Vorstellungen um die Jahreswende ruht, um dann für das kommende Jahr neuen Schwung zu holen. Eine weitere Erklärung liefert das skandinavische „Jol“, was so viel wie „Freude“ bedeutet. Vielleicht doch ein Hinweis auf das Weihnachtsfest?
Dafür sprechen zumindest teilweise die sogenannten „Popen“, die Puppen aus Salzteig, ohne die ein Jöölboom nur ein Besen mit Grünzeug wäre: Den Sockel nämlich bilden Adam und Eva mit der Schlange. Darüber befinden sich ein Pferd, ein Hund und an der Spitze ein Hahn. Keine Sylter Inselmusikanten, vielmehr ein symbolischer Ersatz für vorchristliche Opfergaben. Das Pferd steht für Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit, der Hund für die Treue und der Hahn für Wachsamkeit. Bisweilen findet man auch ein Segelschiff oder einen Fisch sowie eine Mühle – Sinnbilder für die seit Jahrhunderten betriebene Seefahrt und den Ackerbau. Zudem schmücken Äpfel und Dörrobst den friesischen Weihnachtsbaum, ein Buchsbaumkranz rundet ihn im wahren Wortsinn ab.
Ehrensache, dass die meisten Insulaner sich ihren Jöölboom selbst basteln, wobei der Besenstil mittlerweile durch ein Holzgestell ersetzt wurde. Unterstützung bei der Herstellung der Salzteigfiguren oder beim Kranzbinden gibt es beispielsweise beim Sylter Heimatverein, der Sölring Foriining. Wem es an Zeit oder Geschick mangelt: Auf den Sylter Weihnachtsmärkten finden sich garantiert einige Exemplare – jedes Stück ist handgefertigt und ein echtes Unikat. Ganz klar: Der Trend geht zum Zweitweihnachtsbaum: Einer aus dem Wald, einer aus Salzteig.